È nimu, nimu, n'hè stunatu
Schneeflocken auf meiner Decke. Ich lecke ich sie alle weg und doch helfen sie kaum gegen meinen schlimmen Durst. Tagsüber sehe ich oft Hunde, die sich über den Schnee freuen, in ihm herumtoben, die albern sind und ihre Menschen zum Lachen bringen, bevor alle zusammen nach Hause gehen. Ich kann mich kaum noch bewegen, meine langen Beine sind schwach geworden und mir tut alles so furchtbar weh. Ich bin unendlich müde und allein.
Meine Menschen lassen mich schon lange nicht mehr in ihre Wohnung, weil meine vielen Wunden bluten und eitern und das stinkt erbärmlich. Sie ekeln sich vor mir und schließen mich aus, ich muss draußen auf der Terrasse bleiben. Ich versuche ja schon, mich nicht dauernd überall zu kratzen, aber das halte ich nicht lange aus, zu doll juckt meine Haut, besonders mein Kopf und meine Pfoten. Es ist so kalt hier und die Nacht nimmt kein Ende. Der Wind pfeift ums Haus, immer wieder schneit oder regnet es. Mein Magen knurrt, aber wenn ich von dem bisschen trockenen Futter fresse, wird der Durst noch viel schlimmer. Ich friere und habe trotzdem das Gefühl, dass meine Haut verbrennt. Ich möchte kuscheln, so wie damals, als ich noch bei meiner Mutter und meinen kleinen Geschwistern im schmutzigen Hundekorb lag und von ihr immer genug zu trinken bekam.
Schmutzig ist es hier auch, überall Dreck und Blut und Eiter. Der Gestank tut meiner Nase weh und die Nachbarn haben sich auch schon beschwert. Aber nichts ist passiert.
Vor einiger Zeit kamen ein paar wichtig aussehende Leute vom Amt, die geguckt haben, wo und wie ich wohne. Sie haben mit meinen Menschen geschimpft und danach wurde es ein bisschen besser, aber nicht viel. Ich musste trotzdem allein hier draußen bleiben, es gab nur ein bisschen mehr zu trinken. Als diese Beamten zur Kontrolle wiederkamen, waren sie zufrieden. Das kann ich nicht verstehen. Haben die denn so gar keine Ahnung von Hunden? Damals haben die Nachbarn mit meinen Menschen geschimpft und wollten, dass sie mich besser behandeln. Aber es hat sich nichts geändert.
Ich bin so unendlich allein. Was mir bleibt, sind die Schmerzen und das grausame Jucken. Ich möchte schlafen dürfen, endlich in Frieden schlafen dürfen und keine Qualen mehr aushalten müssen.
Heute Morgen hat sich ein Gott getötet. Und niemand, niemand wundert sich.
Glücklicherweise ist die Kangalhündin Mirle nicht an der menschlichen Gleichgültigkeit zugrunde gegangen. Sie wurde Anfang Februar 2019 von Tiere in Not Odenwald (TiNO) aus ihrer unwürdigen Haltung befreit. Mirles Leben konnte gerade noch gerettet werden. Die beherzten Mitarbeiter von TiNO taten alles Menschenmögliche, um sie zu behandeln, ihre grausamen Schmerzen zu lindern und ihr vor allem endlich die Liebe und Geborgenheit zu geben, die sie so lange schon verdient hat.
Inzwischen hat sich Mirles Gesundheitszustand beeindruckend gebessert. Sie genießt allen erduldeten Qualen zum Trotz ihr Leben fröhlich und übermütig.
Und ich habe den Glauben an die Menschheit, an die Menschlichkeit (noch) nicht verloren.
Weiterführende Informationen
Ein Fernsehbeitrag zu Mirles Geschichte:
Und zu "Sta mane", dem eingangs geteilten Lied:
"Sta Mane", also "Heute Morgen", ist ein von der Musikergruppe L'Alba komponiertes und geschriebenes Lied. Dieses Ensemble ist auf Korsika ansässig. Sie interpretieren ihre Lieder und polyphonen Gesänge in korsischer Sprache.
Die Übersetzung aus dem Französischen (Korsisch versuche ich gerade zu lernen :-) ) ist zwar nicht wörtlich, gibt den Inhalt des Liedes dennoch ziemlich genau wieder.
Sta mane
Sta mane un diu hè falatu
À fà e so parte à u mondu terranu,
S'hè scusatu è hà pientu,
Hà fattu casu pè una volta à a ghjente
L'hà guardata è intesa,
Trascambiata, sfarente.
Un diu hà postu u so pede
Pè vede, sangue di l'universu si perde
Un diu di stu cunfrontu à u statu di l'omu,
Hà capitu digià di u mortu di u mondu
U scheletru hè rosu cundannatu à sciappà
A u nentru, nentru di sè, à prufondu.
Da u pesu di tantu tempu persu,
Inanzu, à dà solu parolle
Un diu s'hè rinicatu cum'hè un omu inchjusu
Ind'è l'universu chì more
Sta mane un diu s'hè tombu
È nimu, nimu, n'hè stunatu
Sta mane un diu s'hè tombu
È nimu, nimu, n'hè stunatu
Heute Morgen
Heute Morgen ist ein Gott gekommen
Um der irdischen Welt sein Beileid zu bekunden
Er bat um Verzeihung und er weinte
Und zeigte so den Menschen, dass er sich um sie sorgte
Er beobachtete sie und hörte ihnen zu
Verwandelt und fremd kamen sie ihm vor
Ein Gott hat seinen Fuß auf die Erde gesetzt
Und musste mit ansehen, wie sie ausblutet
Und als Gott, konfrontiert mit der menschlichen Wesensart,
Hat er sofort begriffen
Dass das Skelett dieser Welt zerrüttet ist
Und dazu verdammt, sich selbst zu zerstören -
tief im Innersten seiner selbst
Unter der Last der seit langem verlorenen Zeit
Und um seine Worte nicht zu verschwenden
Hat sich ein Gott verleugnet wie ein Mensch
Der Gefangener einer Welt ist
Die im Sterben liegt
Heute Morgen hat sich ein Gott getötet
Und niemand, niemand wundert sich
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