Donnerstag, 20. Juni 2019
Wenn es den alten Hexen zu gut geht, satteln sie ihre Besen, verklappen diese in den dicken Antoine und verlassen ihre Schnorchelbucht. Allerdings war außer unserer klugen Frau Studienrätin leider auch Murphy mit an Bord. Er sollte sich aber erst später austoben. Frau Studienrätin, eine very sophisticated britische Geographielehrerin mit Lesebrille auf der Nasenspitze, ist Antoines Super-Navi, das wir zusammen mit unserem dicken Berlingo dem unerhofften Sixt-Upgrade zu verdanken haben. Frau Studienrätins Aussprache des Englischen klingt göttlich, wenn man von ihrer Verbalverhornung der französischen Ortsangaben einmal absieht. Sie quatscht auch nicht zu viel, sondern greift nur dann ein, wenn ihre Schülerinnen Ines und ich nicht mehr weiter wissen. Tuscheln, Kichern oder Zettelchen schreiben während ihrer Vorträge duldet sie allerdings nicht. Ein Stirnrunzeln von ihr reicht und wir benehmen uns wieder ordentlich. Auf jeden Fall teilten wir ihr mit, dass wir in Ajaccio ein Handarbeitsgeschäft aufsuchen wollten. Zugegeben, ein reichlich beklopptes Ansinnen, aber da Ines abends in Gruftistickereien schwelgte, wollte auch ich etwas Kreatives zum Spielen haben. Einschlägige Geschäfte in der Nähe waren nicht zu finden…
Daher standen wir am Donnerstag tatsächlich schon gegen 06:30 Uhr auf, ließen uns von starkem Kaffee reanimieren und fuhren los. Wir wollten die enge Calanche de Piana vor dem großen Touristenbus-Ansturm hinter uns haben und hatten deshalb beschlossen, unterwegs richtig zu frühstücken. Die Bucht von Porto im Morgenlicht sah wunderschön aus. Es war spannend, die D81 Richtung Ajaccio weiter zu fahren – Neuland!!! Ich fotografierte, was das Zeug hielt, während Ines unseren treuen, aber leider auch sehr breiten Antoine um die engen Kurven lenkte. In diesen Situationen wäre es mit dem eigentlich gebuchten Polo einfacher gewesen..
Es war noch sehr wenig Verkehr, als wir die Calanche erreichten und uns langsam durch die überwältigend schönen Felsformationen zwängten. Bis plötzlich gar nichts mehr ging. Ein sehr breiter LKW kam uns entgegen. Zu wenig Platz für beide Fahrzeuge. Der LKW konnte wegen nachfolgender Autos nicht zurück, also mussten wir weniger wohl als sehr übel den Rückwärtsgang einlegen. Wir schwitzten Blut und Wasser, als wir im Schrittempo rückwärts um eine sehr enge Kurve rollten. Ich hatte auf der Beifahrerseite das winzige „Leitplanken“-Mäuerchen im Auge. Nur wenige Zentimeter Raum zwischen Antoines Reifen und dem Mäuerchen, dahinter drohte fies grinsend ein tiefer Abgrund. Der LKW rückte nach, doch noch immer war nicht genug Platz zwischen ihm und Antoine. Wir mussten weiter zurück und quälten uns Meter um Meter auf ein breiteres, zum Passieren geeignetes Stückchen Straße hoffend. Der LKW folgte, bedrängte uns, versuchte permanent, sich an uns vorbei zu schieben. Irgendwann gelang dieses Unterfangen. Wir atmeten auf, richteten unsere Augen nach vorn. Und sahen einige vorausschauende, mitdenkende ältere Biker in schwarzgrünen Kombis, die unsere prekäre Situation erkannt hatten und einen nachfolgenden LKW an einer etwas breiteren Stelle gestoppt hatten, so dass wir ohne Probleme an ihm vorbei fahren konnten. Liebe Biker, wir danken Euch herzlich für Eure wunderbare Unterstützung!!! Den Rest der Strecke durch die Calanche (insgesamt 8 km) bewältigten wir ohne Probleme und waren hingerissen von der Schönheit dieser korsischen Landschaft.
Murphy hingegen scharrte schon ungeduldig mit den Hufen. Er hatte bereits im Vorfeld ganze Arbeit geleistet und uns wider besseren Wissens kollektiv viele unnötige Fehler machen lassen.. zum einen hatten wir generell zu wenig Wasser dabei, zum anderen war eine sinnvolle Planung wegen is nich ausgefallen. Als wir hungrig Carghese erreicht hatten, entblödeten wir uns, zu Fuß auf der Suche nach einem Bäcker/Café die falsche kleine Straße zu wählen. Mangels stabilen Internets funzte maps google nicht so richtig... und so gingen wir durch die pralle Sonne steil bergab an zwei Kirchen vorbei zum Hafen, was verflixt weit war. Dort war noch nicht viel los, ein Café fanden wir nicht. In einem einladenden schattigen Restaurant stand wenigstens petit déj. auf einer Tafel. Dieses entpuppte sich als 2 trockene Croissants und 1 Café au Lait pro Nase und kostete schlappe 14 Öckern. Danach wollten wir schnell zurück zu unserem dicken Antoine und nahmen die Abkürzung neben dem Marinefriedhof. Es ging schleppend vertikal aufwärts und zog sich elendiglich. Wir schlichen von Schatten zu Schatten, es war grässlich. Mel, mein überflüssiger Zwangsgatte (Diabetes Typ I) erklomm flotter als wir aufgrund der von führenden Diabetologen empfohlenen Croissantdiät irgendwelche Gipfel, die mir den Atem raubten. Nach der Kirche kamen Treppen, die uns den Rest gaben. Nach dem fünfundtrolfigsten Treppenabsatz ging gar nichts mehr. Ich bekam keine Luft, der Puls raste, mir war es schwindlig und Ines konnte auch nicht mehr. So setzten wir uns in den Staub auf die oberste Stufe, kauerten im spärlichen Schatten und teilten uns den Rest Zero-Limo aus meinem Rucksack. Die volle Wasserflasche kochte derweil im Auto. Irgendwann rappelten wir uns wieder auf und stiegen den Rest der Treppen hoch, bis wir endlich schweißüberströmt unseren lieben Antoine erreichten, der freundlich meinte, dass er uns doch hätte zum Hafen fahren können. OK, wir setzten unsere Fahrt nach Ajaccio fort und nahmen das andere kleine Sträßchen gleich um die Ecke. Hier fanden sich sehr viele hübsche Cafés, boulangéries et pâtisseries...
Die weitere Fahrt nach Ajaccio gestaltete sich sehr entspannt. Nach den schroffen Gebirgsserpentinen lernten wir jetzt ein anderes Gesicht Korsikas kennen. Sanft geschwungene Hügellandschaften, weite Wiesen und Felder, flache, breite Sandstrände, die jedoch ziemlich bevölkert waren.
Wir kamen gut voran und erreichten Ajaccio schnell und ohne Probleme. Der Handarbeitsladen versteckte sich geschickt vor uns und hatte sowieso gerade Mittagspause.
Ajaccio war sehr laut und sehr voll und kam uns von der Wildnis Verwöhnten wie eine Großstadt vor. Es war schwierig, für unseren gutmütigen Dicken einen Parkplatz zu finden, bevor wir uns am Hafen Eisbecher und etwas Kaltes zu trinken gönnten.
Danach machten wir uns zu Fuß leider wieder OHNE die Warmwasserflasche aus dem Auto auf die Suche nach DEM Handarbeitsgeschäft. Ich dachte, Ines wollte unbedingt Stickgarn kaufen und sie war der Ansicht, ich bräuchte unbedingt Wolle und Stricknadeln (habe ich massenhaft zu Hause und da liegt es gut...). Der Laden spielte weiterhin in Salines, einer hässlichen Hochhaussiedlung, geschickt mit uns Verstecken und so irrten wir dort dumm herum. Voll ätzend. Als wir dann endlich das kleine Centre Commercial mit dem Laden gefunden hatten, stellten wir schweißüberströmt fest, dass diese Irrwege nicht zwingend notwendig gewesen wären, weil keine von uns Fil en Aiguille („Faden in der Nadel“, so heißt der Laden) wirklich gebraucht hätte. Egal, wir fanden schöne Dinge und kauften sie. Der Weg zurück zu Antoine war extrem heiß und scheußlich. Wir hatten keinen Bock mehr auf verdorrten, staubigen Großstadtdschungel und suchten das Weite, sprich die Wildnis unserer Schnorchelbucht. Wiederum hatten wir Glück mit unserer Frau Studienrätin. Sie brachte uns schonend auf dem kürzesten Weg aus Ajaccio heraus und „nach Hause“. Im frühen Abendlicht und ohne Behinderungen durch die Calanche zu fahren war ein wunderschönes Erlebnis.