Eine Prüfung auf Herz und Nieren
müssen meine beiden Piratenkater Jurij (ca. zwölf Jahre alt) und Joschij (knapp 14) und ich bestehen.
Die beiden stellten mich an einem verregneten Samstag Mitte September 2013 bei TiNO (Tiere in Not Odenwald) in ihre Dienste, als ich mich “unverbindlich” nach zwei Katzentieren umgeschaut hatte. Nach Hause gefahren sind wir schließlich zu dritt und seitdem bin ich unglaublich gern Dienerin zweier Herren. Sie haben keine Anstrengung ausgelassen, mich vom Hundemenschen zum Katzenmenschen umzuerziehen. Sie haben mich gelehrt, wie sie es in ihrer Wohnung am besten mit mir aushalten und was ich tun muss, um sie bei bester Laune zu halten. Joschij, der ältere, war zunächst das Equivalent zu einem Angstbeißer. Es hat fünf Jahre gedauert, bis er mir endlich vertraute - nachdem er eine schlimme eitrige Infektion im Mäulchen/Näschen hatte, die diverse Besuche bei unserer Tierärztin und eine OP in der Tierklinik erforderte und nur sehr langsam ausheilte. Nach seiner Genesung war er wie verwandelt. Er wurde ein sehr verschmuster, gesprächiger und immer wieder sehr alberner kleiner rotblonder Kater, der vor kriminellen Energien nur so strotzte. Der schlimmste Mundräuber von allen war er schon immer. Vor Joschij war außer Obst nichts Essbares sicher. Nicht umsonst wurde er Brokkoli-Joe genannt – auch gekochter Spargel verschwand in seinem Schlund.
Jurij, damals eine magere grau-getigerte Viertelportion Kater, die von Joschij liebevoll bemuttert wurde, wuchs seinem Kumpel schnell über den Kopf, nachdem er sich nach anfänglichen Schwierigkeiten an regelmäßige Mahlzeiten gewöhnt hatte. Ein unbefangener, frecher einäugiger Pirat mit einem ordentlichen Lebensmittelschwerpunkt, der ihn aber nicht an gewagten Klettermanövern insbesondere auf dem Balkon hinderte. Seit Joschijs schlimmer Erkrankung 2018 habe ich mich jeden Tag bewusst darüber gefreut, dass meine beiden Piraten mein Leben bereichern.
Bis Ende März, als zunächst Jurij, drei Tage später auch Joschij sehr, sehr krank wurden. Eine ernsthafte Atemwegsinfektion setzte beiden schlimm zu. Sie verweigerten das Futter, bekamen kaum noch Luft, waren apathisch – und natürlich ständig bei unserer Tierärztin. Joschij entwickelte zusätzlich noch eine Blasenentzündung; Jurij hatte nach anfänglicher Besserung plötzlich einen Rückfall – beide erholten sich nicht richtig. Bei Jurij war unserer Tierärztin ein Herzgeräusch aufgefallen, nachfolgende Laboruntersuchungen zeigten ein pathologisch erhöhtes Herzenzym (NT Pro BNP als Marker für Herzmuskelstress). Ich folgte dem Rat der Tierärztin und stellte Jurij am 17. April 2024 in der Tierklinik Neu-Isenburg zur eingehenden Herzuntersuchung vor. Die Tierärztin mit kardiologischem Schwerpunkt zeigte sich überaus kompetent und hat meinen kleinen Piraten sehr gründlich u. a. per Herz-Ultraschall untersucht. Fakt ist, dass Jurij tatsächlich eine HCM (hypertrophe Kardiomyopathie = Erkrankung des Herzmuskels, die die Herzfunktion einschränkt) hat. Um das Herz herum hatte sich bereits ein Erguss gebildet und es könnte zu Blutgerinnseln kommen. Daher bekommt Jurij jetzt Tabletten zur Entwässerung (Furosemid) und zur Verhinderung von Blutgerinnseln (Clopidogrel) zusätzlich zu seiner Schilddrüsen-medikation bei Überfunktion (Felidale). Wenn er medikamentös gut eingestellt ist, kann er damit ganz gut leben, wobei die TÄ eine Prognose über den Verlauf nicht geben kann. Jurij war nach den Untersuchungen völlig fertig, stolperte zu Hause aus seinem Katerknast, fiel erst einmal um und blieb schnell atmend liegen. Fressen wollte er zunächst auch nicht. Allerdings besserten sich diese Symptome dank der Medikamente sehr schnell. Dem Piraten schmeckt es inzwischen wieder sehr gut, die Atemfrequenz ist deutlich zurückgegangen und er macht wieder einen souveränen, zufriedenen Piratenkatereindruck.
Ganz im Gegenteil zu meinem zweiten Sorgenkater Joschij. Auch er hatte sich von dem Atemwegsinfekt etwas erholt, zeigte aber weiterhin Blasenprobleme (häufiges Aufsuchen der Herrentoiletten, in denen ich nur ca. walnußgroße Pullerklumpen von ihm vorfand). Viel getrunken hatte er schon immer und die Nierenwerte waren bei der aktuellen Laboruntersuchung (noch) im Normbereich. Joschij wirkte insgesamt unglücklich, abgeschlagen, hatte nur sehr wenig Appetit und war nicht mehr schlank, sondern bereits mager, so dass ich ihn am 26. April 2024 zur eingehenden Untersuchung mit Ultraschall und Urindiagnostik bei seiner Tierärztin abgab. Am späten Nachmittag erwarteten mich in der Tierarztpraxis ein rotblondes Häufchen Elend und ein niederschmetternder Befund - eine bereits fortgeschrittene Niereninsuffizienz (chronische Nierenerkrankung heißt das wohl heutzutage). OK, das passte genau zum Gesamtbild, allerdings hatte ich das nicht erwartet, weil die Nierenretentionsparameter noch im Normbereich waren. Aber auch das ist leider möglich...
Das letzte Wochenende war ein sehr trauriges. Joschij war komplett verstört und sehr unruhig Für ihn ist es schon schlimm, wenn ich ihn aus seiner Wohnung trage, aber ihn allein für viele Stunden bei der Tierärztin zu lassen war für ihn offensichtlich unerträglich, zumal ihm die Narkose auch nicht bekommen war. Fressen wollte er zunächst gar nicht mehr. Nach und nach gingen ein paar Bröckchen Nierendiätfutter in meinen kleinen Kater rein, aber nur sehr wenig. Am Sonntag besserte sich sein Zustand allmählich, der Appetit kehrte langsam zurück. Wobei das Diätnassfutter für sein Gourmetmäulchen inakzeptabel war (und ist). Trockenfutter OK, aber hier auch nicht jedes. Wir hatten ein Paket mit Probiertütchen bekommen und hier war glücklicherweise ein Favorit dabei. Inzwischen verlangt auch Joschij wieder Nahrung und erhält diese in kleinen Portionen. Glücklicherweise kann ich größtenteils von zu Hause aus arbeiten, so dass ich meinen kleinen Schoßpiraten aufpäppeln kann. Joschij wirkt noch immer sehr angeschlagen, schläft sehr viel und auch viel tiefer als früher. Er ist still geworden, sieht struppig aus, klaut mir mein Frühstück nicht mehr. Aber er genießt meine Zuwendung, die vielen Streicheleinheiten und kleinen Portionen Futter, die er mir anfangs aus der Hand gefressen hat. Ich setze alles daran, den kleinen Piraten zu stabilisieren, hoffe sehr, dass er zunimmt und sein Leben wieder genießen kann. Unsere gemeinsame Zeit ist endlich.
Bei beiden Katern hat der heftige Infekt dazu geführt, dass sich ihre Grunderkrankungen – seit wann auch immer diese schon bestanden haben mögen – manifestiert haben. Jetzt habe ich einen Herzopi und einen Nierenopi und werde alles daransetzen, dass beide es so gut wie nur eben möglich bei mir haben, bis sich unsere Wege trennen. Ich hoffe sehr, dass sie mir zeigen werden, wann sie gehen möchten. Sie sollen sich nicht quälen.
Finanziell ist diese ganze Geschichte eine Katastrophe. Schlimmer ist jedoch die Angst um meine Kater, die Sorge um ihr Wohlergehen, die Furcht vor dem, was in nicht absehbarer Zeit auf uns zukommt. Die sich aufdrängenden Gedanken sind verstörend, besonders nachts. Aber – wenn ich morgens in ihre lieben kleinen Gesichter sehe und mich freue, dass sie mir wieder den Weg in ihre! Küche zeigen, empfinde ich so unendlich viel Liebe und Zärtlichkeit, dass alles andere in den Hintergrund tritt.