Die
(vor-/weihnachtlichtete)
Legende von Paul und Paula
Entspannt liege ich am Strand. Winzige Wellen glucksen friedlich. Ab und zu stakst Geflügeltes vorbei – Krähenpick im Tangkompott. Die Möwen juckt das wenig, der Sanddorn jedoch ist sauer. Als ich hier ankam, duckte sich das Land so nass wie das bleigraue Meer wogte. Sturm zerfetzte den Himmel und die schwarzen Wolken brachen in der Mitte durch. Schlotternd und seekrank zog ich mich zunächst ein paar Tage zurück, bis eines Morgens der Nebel die Sonne behutsam aus dem Bett komplimentierte. Zunächst kuschelte sie sich verschlafen in Wolkenfetzen, bis sie sich an ihre Kraft erinnerte und den Morgen über dem Hotel zur Ratte glühen ließ. Ein bisschen blass bin ich noch, aber wieder guter Dinge. Altes Treibholz vergeht nicht, zum Donnerkeil! Und das seit 70 Millionen Jahren...
Wenn ich mich doch nur daran erinnern könnte, woher ich gekommen bin. Bornholm vielleicht – ich weiß nur noch, dass ich Paul heiße. Und ich stochere nur zu gern in Dingen herum, die mich eigentlich nichts angehen. Diese Recherchen machen einsam, aber bevor ich mich auf faule Kompromisse einlasse. bleibe ich liebe ungefährtet. Schade nur, dass ich mich nicht aus eigener Kraft bewegen kann. Oh Hühnergötter, erhört mein Flehen!
Der Strand ist ein wenig fußkalt. Dennoch ziehen sich zwei Unerschrockene Stiefel und Strümpfe aus und juchzen durch die eiskalten Wellen Richtung Horizont. Na ja fast. Mit tauben Zehen kichern sie zurück und lassen sich lachend auf ihre warmen Jacken fallen. Endlich mal was los hier! Das Leben hat sich schon längst zurückgezogen und döst rosenwelk dem Advent entgegen. Rügen RIP im Novemberlicht, aber wehe, es weihnachtet wieder.
Die beiden Menschenwesen sind gut drauf. Sie kommen langsam näher, Schnabelspitz und Gerippefisch bereits in ihren Beuteln. Strand gut – ja, das sehe ich auch so. Und noch mehr erblickt mein Holzauge – eine von ihnen stochert mit einem schlanken Gegenstück meiner Selbst im Tangkompott herum. Die andere Bekloppste sieht sich suchend um. „Hier bin ich, hier", krächze ich heiser. Sie sammelt Schätze ein. Ich bin doch auch einer… Kaum fertig gedacht, finde ich mich in ihrer Hand wieder. "Wauh, was für ein toller 97 Grad Winkel!", jubelt die große Blonde. "Yeah, 70 grades of schief, oder wie nennt sich der entkalkte Steilhang, dessen Buchendontose ich womöglich zum Opfer fiel…?", raune ich verwegen.
"So ein schöner Stock – er stützt absolut fantastisch federnd elastisch", freut sich die Blonde und schwenkt mich durch die Luft. "Du nun wieder – weniger Knüppel hätte es nicht getan, oder?" Die Kleinere mit den freundlichen Bernsteinaugen schwenkt ihren zarten Stock und mir stockt das Herz vor Entzücken, denn das Gehölz ist weiblich und wunderschön, mit einem außergewöhnlich geformten Polkfortsatz geradezu prädestiniert für investigative Stocherermittlungen. Hühnergötter, zackzack, ich MUSS sie stracks näher kennenlernen…
"Guck mal, er kann auch wundervoll pokeln", ruft mein neues Transportmedium Nali fröhlich und schwenkt zwei Pfund Seegras durch die Luft. "Deiner heißt Herr Pokel", sagt die Kleinere; Ines heißt sie. "Und meine ist Frau Prokel. Sie ist ganz besonders begabt beim Aufstöbern."
Ich bekomme vor lauter Aufregung einen ganz weichen Winkel. "Frau Prokel", denke ich verzückt und lasse mir ihren Namen auf meinem ausgefransten Polkfortsatz zergehen. Interessiert mustert sie mich und lächelt fein. "Hey", ruft sie mir hölzern zu, "schön, dich kennenzulernen, Großer!". "Das Vergnügen ist ganz auf meiner Seite!", erwidere ich charmant und stupse ein dankbares Gebet Richtung Hühnergötter.
Zu viert schlendern wir die Schaabe entlang und finden so einiges. Vor allem Frau Prokel gut, wenn ich für mich sprechen darf. Wir unterhalten uns leise und sie erzählt mir, dass auch sie der Sturm vor einigen Tagen an den Strand gespült hat. Wahrscheinlich entstammt Frau Prokel ebenfalls einer Buchendynastie, an Genaueres kann auch sie sich nicht erinnern. "So viele Gemeinsamkeiten", freue ich mich. "Au ja", trompetet sie, "jetzt p(r)okeln wir gemein und nicht mehr einsam, yippieh!" Ich sehe sie groß an und sie errötet. "Oh", haucht sie. "Entschuldige, ich freue mich nur gerade so, dich gefunden zu haben." Mir wird ganz warm ums Holz. "Ich bin auch ganz glücklich", lächele ich verklärt zurück. Wir durchsuchen jetzt Seite an Seite den Seetang, hin und wieder berühren wir uns rein zufällig. Die beiden Rumpentrumpens necken sich gegenseitig und haben viel Spaß miteinander. Sie erinnern mich an spielende Kinder, die den Strand, das Meer, die Weite und vor allem die vielen Kostbarkeiten im Sand genießen. Natürlich haben sie längst spitzgekriegt, wie wir heißen. Hoffentlich legen sie uns zusammen weg, wenn sie durch das Kiefernwäldchen zurück zu ihrem Auto gehen… Ich möchte Frau Prokel nicht verlieren… Ich sehe ihr tief in ihre Augen und entdecke dort so viel – vor allem, dass sie meine Zuneigung zu erwidern scheint.
Auf einmal schwächelt Nali. Sie ist immer stiller geworden und langsamer gegangen. Die Menschen legen uns nebeneinander in den Sand, während es bei Nali piept, sie sich daraufhin hastig Saft hinter die Binde kippt und ein paar Süßigkeiten nascht. So haben wir Zeit, behutsam miteinander zu kuscheln. "Wir lassen es dauern, solange es dauert", sagt sie zu mir, genau wie im Film. "Wir machen nichts dagegen, nichts dafür. Wir fragen uns nicht allerlei blödes Zeug. Nur die Namen. Ich bin Paula." Meine Antwort: "Paul."
Weihnachtsbaum? Hörte ich tatsächlich Weihnachtsbaum aus Nalis frechem Mund? Sie mustert mich interessiert und meint: "Ich schmücke ihn mit Tanne und Friedhelmen. So einen Weihnachtsbaum hat die Welt noch nicht gesehen." Ines lacht. Ich bin mitnichten eine Tanne, nur ein 97° Knüppel aus der Ostsee… Will sie mich etwa mitnehmen? Und Paula bleibt bei Ines…?
Wir verlassen den Strand und wandern durch das Kiefernwäldchen. Der Boden ist moosig weich und noch immer dunkelgrün und frisch. So ein romantischer Ort. Können die beiden uns nicht einfach hier zusammen zurücklassen?
Ein silbergraues Auto kommt in Sicht. Ich spüre Nalis Zaudern. Dann lehnt sie mich entschlossen an ein Schild und folgt Paula und Ines zum Auto. Wollen sie uns jetzt trennen….?
NEIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIIN", schreit es markerschütternd in mir. Mir wird kormoranschwarz vor den Augen; aus Paulas Herz scheint Hagebuttenblut zu rinnen. Sie ist ganz blass geworden.
"Wolltest du Herrn Pokel nicht als Weihnachtsbaum mit nach Hause nehmen?", fragt Ines erstaunt. "Kann ich ihn denn einfach so in Frau Üpsilon legen?", fragt Nali. "Ja klar, warum denn nicht." Erleichtert läuft Nali zurück zu mir, nimmt mich wieder in die Hand. "Ein Glück", seufzt sie. "Ich hätte mich jetzt nicht von ihm trennen wollen". "Vor allem kannst du das junge Glück nicht trennen", grinst Ines. Paula und ich werden vorsichtig hinter die Vordersitze gelegt. Wir haben beide Tränen in den Augen und halten uns zitternd aneinander fest. "Ich will dich nicht verlieren, Paula." "Und ich möchte bei dir bleiben…"
So hat unsere Geschichte begonnen. Wir haben zwei wundervoll intensive Nächte zusammen im Auto verbracht. Dann wurde es wieder sehr aufregend und wir klapperten beide vor Angst um die Wette, denn Nali beabsichtigte, mit dem Zug die Insel verlassen, während Ines mit dem Auto nach Hause fahren wollte. Ich sollte Nali nach Frankfurt begleiten – ohne Paula?
Doch wieder waren die Hühnergötter uns gnädig. Nali beschloss angesichts ihres schweren Gepäckfettsacks, mich erst später bei Ines abzuholen – yippppppieeeeeeh! Paula und ich hatten daraufhin in Leipzig eine gemütliche unterirdische Kammer ganz für uns allein. Jede Nacht, wenn wir nicht gerade über die Produktion von Stecklingen nachdachten, schlichen wir an den Katzentieren vorbei zu Ines ins Bett und soufflierten ihrem Unterbewusstsein, dass P. Okel und Paula Ricarda Okel (wir haben uns klammheimlich verheiratet) zusammenbleiben müssen – und genau das hat sie kurz vor Weihnachten auch Nali verkündet. Die fand diese Idee rumpentrumpig genial und hat uns beide mit zu sich nach Hause genommen…
Hier leben viele lustige Gestalten. Die beiden Piratenkater finden uns zum Glück nur mäßig interessant. Nur gut, dass sie keine Hunde (= Stöckchenfetischisten) sind! Es gibt hier unglaublich viel zu entdecken und zu recherchieren. Langweilig wird es uns ganz bestimmt nicht.
Als nekstes werden wir den Weihnachtsbaum mimen. Paula und ich haben bereits Olivenölmassagen bekommen, wir liegen mit der Nordmanntannenzweigen auf dem Balkon und sind gespannt auf unsere Gewandung. Und im Neuen Jahr werden wir den Eddies da draußen helfen, ihre Nüsschen wiederzufinden...
Jegliches hat seine Zeit,
Steine sammeln, Steine zerstreu'n,
Bäume pflanzen, Bäume abhau'n,
Leben und sterben und Streit.