Ich kenne/kannte sie beide sehr gut - die nicht verurteilte Täterin und ihr Opfer, meine Freundin Trudi. Sie war Ärztin, eine Frauenärztin, die beherzt und kompetent unzähligen kleinen Menschen auf die Welt geholfen hatte und schließlich keinen anderen Ausweg mehr sah, als Sterbehilfe - bei sich selbst - zu leisten. Die Staatsanwaltschaft leitete Ermittlungen gegen (?) sie (!) ein, kam dann aber zu dem Schluss, dass sie aus freien Stücken gehandelt hatte, als sie sich ihr unglückliches Leben nahm. Sie unt/erlag ihrer lebenslangen Depression, die wieder einmal ungestraft davon kam, personifiziert man sie als Täterin. Mich hat in den letzten Jahren, in den letzten Monaten und ganz besonders nach ihrem Tod eine unbändige und hilflose Wut erfasst, weil ich mitansehen musste, wie sehr diese Depressionen meiner Freundin nach und nach essentielle Teile ihres Lebens genommen hatten, bevor sie schließlich dieser Folter ein Ende gesetzt hat.
Es tut noch immer unendlich weh, nicht geholfen haben zu können.
Freispruch
Unersättlich meine Gier
nach Nachschub
wenn ich dich niederschlage, Tag für Tag
Dir das Glühen aus deiner Birne schraube
und mich an der jämmerlichen Unterwerfung deiner Gedankenfluten labe.
Ich! bin ihre Herrin und du Wicht verlierst die Orientierung.
Mein ist die Macht
deine Sonne zu verdunkeln
und dir im Zwielicht interessiert beim Welken zuzusehen.
Mein Gift manipuliert deine Wahrnehmung,
zieht unaufhaltsam die Farben aus deinem Alltag
und die Wärme aus deiner Umgebung.
Ich klaue den Klang aus den Melodien
und entführe den Schalk aus deinem Nacken.
Nachts halte ich dich wach, lasse dich im Dunkeln zähe Zeittropfen zählen,
schenke dir ein klebriges Übermaß davon für sinnlose Grübeleien
die deine fahle Visage zerknittern.
Mit wachsender Begeisterung verdrecke ich dein Lachen,
während ich mit dem Atem aus deinen Zügen Klimaanlagen füttere.
Schließlich gehört mir
der Antrieb aus deinem Tun
und ich vereinnahme dein Selbst
bis es sich richtet.
Mord auf Raten?
Nix da, Freispruch, Euer Ehren!
[17. August 2011]
Oft genug wünschte ich, die Bekanntschaft der oben beschriebenen potentiellen Mörderin niemals gemacht zu haben; es gibt weitaus sympathischere Weggefährten. Dennoch hat es mir sehr geholfen, die Depression zu personifizieren. Ein Feind mit Gesicht lässt sich leichter bewältigen als ein undefinierbares, gestaltloses Gespenst.