Porta Macedonia

 

 

 

 


zutiefst
getroffen
doch nicht verletzt
kein Blut rinnt
nur Tränen
tropfen
spiegeln
den dunkelroten Samt der Töne
die mich warm umhüllen
und gegen den Schmerz
wappnen


[rv, 6. März 2009]

 


 

We zänk you for travelling with Deutsche Bahn und wünschen Ihnen trotzdem einen schönen Abend (O-Ton am 17. Februar 2009). Den hatte ich in der Kulturkirche Köln Nippes. Allen Widrigkeiten zum Trotz. Und bin froh und glücklich, dass ich dabei war.

Deee Bääääh. Voll abgefahren, aber nix läuft. Der Zugteil, der um 17:17 Uhr von Frankfurt nach Köln fahren sollte, fehlte. Der Rest fuhr zunächst informationsfrei ins Nirvana, hielt dann jedoch in Köln-Deutz, nachdem er stundenlang vor dem Bahnhof gemütlich picknickte. Danach war mir unklar, wie es weitergehen könnte, aber es musste, denn ich wollte doch schon längst in der Hotelpension eingecheckt und die Kulturkirche in Köln-Nippes betreten haben. Also stürzte ich mich wild entschlossen nicht vor, sondern in die nächste S-Bahn, fand aufgrund meines intuitiven Orientierungssinnes (mehr Eingebung als Verstand) die Absteige, betrat sie und niemand war da. In Worten: gar keiner. Flugs griff ich zum Händy und brüllte nach Personal. "Dieses kommt nur auf Abruf", sagte man mir (schön, wenn man das um 19:30 schon erfährt) und würde in 5 min. eintreffen. Daraus wurde aber nichts, wie man mir nach 7 min. mitteilte, ich solle doch schon einmal ins Konzert.

Also raste ich völlig verschwitzt, bewaffnet mit Schirm, Rucksack und einer randvollen Blase los - nur wohin? Wiederum die nächstbeste U-Bahn zu entern erschien mir um 19:42 Uhr zu riskant, also informierte ich mich fahrplanmäßig. Und hatte Glück, es funzte, ich erreichte Nippes und galoppierte zu Fuß weiter. Meilenweiter, bei ca. 37,9° C Nachtlicht im Schatten. 3 Laternen waren nötig, um meinen Weg mit dem Plan abzugleichen - doch dann sah ich eine Kirche und beschloss, dass es diese sein müsste, denn es war 1 Minute vor Konzertbeginn. Ich stürmte das blau erleuchtete Gotteshaus, röchelte, ob es denn eine Garderobe zwecks Ausrüstungsdepot gäbe (dem war nicht so) und wurde trotzdem eingelassen. Ich warf Rucksack, Schirm, Collegetasche und meine überflüssige Kleidung in eine Kirchenbank und mich hinterher. Schweißüberströmt, nach Luft ringend.

Mein Keuchen unterbrach der Veranstalter mit seiner Ansage und prompt trat er auf - der dunkle Sänger mit seinen mazedonischen Musikern. Ich kam mir vor wie eine spätpubertierende Rotzgöre (schon wieder atemlos, dieses Mal vor Schreck) – da war er, live und in dunkelblauer Farbe, unglaublich. Doch es gab außer der optischen Farbenvielfalt auch ordentlich was auf die Ohren. Laut waren sie, die Musiker, verdammt laut. Doch obwohl die Kirchenbänke vibrierten und wackelten, war die Atmosphäre zauberhaft. Und sehr bewegend – diese außergewöhnliche dunkle Stimme, so eindringlich, zutiefst berührend, Alexander Veljanovs sparsame Gestik (abgesehen von seiner umwerfenden Wirkung auf den gebeutelten Mikrofonständer) und Mimik, seine Texte, soweit sie bei den lebhaften Aktionen des begnadeten Perkussionisten/Bassisten für eine Newbiieh wie mich zu verstehen waren. Der empfundene Hörgenuss und insbesondere das Textverständnis sind für mich bei einer CD deutlich intensiver, dennoch bestach der Live Act durch die unmittelbare Nähe der Künstler, die Übertragung ihrer Energie auf das Publikum, ihre Aufrichtigkeit. Veljanov kommt ehrlich rüber, er meint, was er singt und steht gerade auch hinter schrägen Tönen und Dissonanzen. Überwältigt hat mich seine Inszenierung des furiosen Finales. "Dirt". Die eher ruhige, auf der CD ca. 9 min dauernde Ballade wurde zu einem emotionalen Schauspiel. Die anfangs ruhigen, traurigen Klänge steigerten sich nach und nach zu einer aggressiven, mitreißenden Anklage gegen die Sinnlosigkeit von im Dreck liegenden Soldaten. Veljanov schrie. Und hatte damit unbedingt Recht. Ich fand es sehr sehr schade, dass nach Dirt schon Schluss war. Ich war hier doch gerade erst richtig angekommen und längst noch nicht fertig mit Hören (OK, ich bin maßlos) und außerdem vermisste ich auch die Vorstellung der mazedonischen Musiker. Trotzdem - unendlich bereichert schwebte ich 13. Fee nach dem Konzert durch das eiskalte nächtliche Nippes.

Interessant war auch die Fortsetzung dieses bewegten und bewegenden Ausflugs. Schließlich machen Erfahrungen klug und so rief ich auf dem Rückweg in der zentralen Pensionsverwaltung an, um sicherzugehen, dass mir jemand einen Zimmerschlüssel in die Hand drücken würde. Was sich wiederum kompliziert gestaltete, denn die Angerufene wusste von nichts und so erzählte ich ihr meine ganze Geschichte geduldig noch einmal. Nach einigem Hin und Her einigten wir uns schließlich! darauf, dass ein junger Mann benachrichtigt würde, um mir ca. 10 Minuten später weiterzuhelfen. Ich wartete daraufhin das ca. ab, geduldete mich heftig und harrte energisch aus. Und wieder ein. Nach einer subjektiv so empfundenen vollen Stunde öffnete sich die Tür und ein seltsamer, übergewichtiger älterer Gnom mit eigenartigen Hautwucherungen im rechten Auge schluffte herein. Ich hielt ihn für einen grotesken Gast, aber es handelte sich um den diensthabenden Hausmeister, der seinen bürokratischen Fetisch genüsslich an mir ausließ. Nachdem mir schon fast die Schwinde sannen, kletterte ich die 17.459 Stufen hoch in den 2. Stock und begab mich in mein Zimmerchen. Hier war die Nacht fast noch kälter als draußen und es war unglaublich eng. Meine seit ca. 16:00 Uhr ignorierte Blase rebellierte mit Nach- und vor allem Überdruck und so klemmte ich mich hinter/unter das Waschbecken, um meine Notdurft zu verrichten. Danach drehte ich die Heizung voll auf und duschte unter akrobatischen Verrenkungen. Die heißkalten Wechselgüsse belebten mich derart, dass ich trotz später Stunde unbedingt das Kölsche Fernsehangebot testen wollte. Den Minusgraden entsprechend wurde winterliches Schneetreiben zum Besten gegeben – auf allen Kanälen. Also Notebook raus und an, doch auch das Internet machte sich rar, da es an der im Preis inbegriffenen Leistungsfähigkeit des WLans zu hapern schien. Nun denn, ich hatte inzwischen richtig gute Übung darin, mit seltsamen Siutationen und Herausforderungen flexibel umzugehen und so klemmte ich meinen Fotoapparat an das Notebook, um dem Konzert nachzufühlen. Leider gab auch dieses Gerät beim Herunterladen der Bilder bedingt durch Strommangel den Geist auf. Also Licht aus und den auf dem Walkman konservierten Veljanov in die Ohren (das ging auch ohne Pattex). Oben drüber die dünne Sommerdecke, damit mich das Zähneklappern nicht so störte. Es froren die Füße und der Rest von mir auch, so dass sich der Einschlafprozess langwierig gestaltete. Irgendwann klemmte ich die Füße zwischen Wand und Heizung, schmiegte mich an dieselbe und entschlummerte, bis ich gegen viertel vor Vier schweißgebadet das 1. Mal erwachte. Ich drehte der Heizung den Hals und danach mich selber um, schlief auf der Stelle wieder ein und wollte um halb sechs so gar nicht wieder zu mir kommen.

Das nützte mir allerdings wenig und so begab ich mich nach der Zubereitung eines bedingt genießbaren Instantmuckefucks und dem Verzehr von drei Keksen zu Fuß zum Hauptbahnhof. Zwischen zwei Domtürmen grinste der halbe Mond verständnisvoll, während sich hinter den Gleisen der Himmel lichtete. Ich betrat mit Latte in der Linken, Brötchen in der Rechten den Bahnsteig und inhalierte sich nahende Ferne, sich entfernende Nähe, den Reiter kurz vor der Deutzer Brücke und rosa Sonnenglut über dem Rhein. Ziemlich bald schon konnte ich im ICE Platz nehmen. Heute war zu Übungszwecken die Reihenfolge der Wagen vertauscht, so dass der Deutsche Bahnkunde seine gestern erlernte Flexibilität unter Beweis stellen konnte. Ja, unsere Bahn traut uns schon etwas zu. Die Abfahrt des ICEs verzögerte sich nur unwesentlich, nachdem vorübergehend der Strom ausgefallen war. Der Zugbegleiter schilderte technische Probleme, die dieses verursacht hätten. Die entstandene Verspätung wurde in Siegburg ausgebaut, da die technischen Schwierigkeiten inzwischen den hinteren Teil des Zuges in Mitleidenschaft gezogen hatten. Der freundlicher Zugbegleiter stellte in Aussicht, dass "unser Lokführer" den Schaden eventuell beheben könne. Was dieser auch vermochte, denn ca. 20 min. später rollten wir weiter in den jungen Morgen. Und ich kam nur 15 min. zu spät zur Arbeit – das hatte doch was. Und dann saß ich verklärt grinsend vor dem PC und wollte nur noch in mein warmes kuscheliges Bett und darüber sinnieren, warum meine Ausflüge grundsätzlich mit Imponderabilien gespickt sind. Es lebe die Herausforderung – aber kann die das nicht auch einmal ohne mich?