Memoiren, vorläufig

 

 

 

 

 

 

Als kleiner brauner Sonntagshund wurde ich am 1. Juli 1996 auf einem Bauernhof in Ilbenstadt (einer bedeutenden Großstadt in der hessischen Wetterau) geboren. Meine Mutter ist eine weiß-schwarze Foxterrine. Die Vermutung liegt nun nahe, daß ich nicht so ganz reinrassig bin - das stimmt auffallend. Ich bin ein echter Ilbenstädter Koyotencocktail. Meine liebe Mama wollte zwecks robuster Nachkommenschaft unzüchtige genetische Komplikationen vermeiden und ließ sich aus diesem Grunde jedes Jahr mit einem anderen Verlobten ein. Geheiratet wurde nie. Mein Vater muß ein sehr interessant aussehender Hund gewesen sein - selbst die Bauersleute konnten nichts über ihn berichten, da sie so nett waren, meine Mutter immer frei im Dorf, ähem, in der Ilbenstädter Fußgängerzone laufen zu lassen. Meine fünf Geschwister und ich verlebten eine sehr glückliche Baby- und Kleinkindzeit auf dem Bauernhof der Familie Schwinge, die einen kleinen Hofladen betrieb, so daß immer viele Menschen kamen, um uns zu bewundern, mit uns zu spielen und herzlich über uns zu lachen. Die Leute tuschelten viel und zeigten mit den Fingern auf uns - so als ob sie unter uns eine Auswahl treffen wollten ...
Genauso war es dann auch. Wir Kinder waren gerade im schönsten Rüpelalter und stritten uns gewaltig (unsere Mutter war sehr ungehalten), als plötzlich eines Tages zwei Menschen kamen, um mich von meinem paradiesischen Hof zu entführen. Sie verschleppten mich in ein entsetzlich stinkendes Fahrzeug und fuhren dann ganz weit mit mir weg. Angst und Schmerz schnürten mir die Brust zu und ich fing markerschütternd laut an zu heulen. Es war das letzte Mal, daß ich meine Familie, meinen geliebten Hof und Ilbenstadt zu sehen bekam. Sollte mein kurzes Leben so schnell schon wieder ausgehaucht werden?
Nein - ich bekam ein neues Zuhause. Und ich war dort der einzige Hund, was enorme Vorteile hat. Kein Streit mehr ums Fressen...

 

September 1996
September 1996

 

Nina, meine Adoptivmama (sie sieht einem Hund ganz und gar nicht ähnlich) setzte durch, daß ein kleiner Hund nicht in eine Hundehütte im Garten gehört, sondern ins Rudel, zu dem auch mein Stiefbruder Benni - er war damals 9 - und ihr Mann Bernd gehörten. Sie hat meinetwegen wohl erheblichen Ärger bekommen mit dem Haustyrannen (na ja, zu mir war der ja ganz nett, aber nicht zu den beiden Menschen), der meinte, daß ein Hund nur alles kaputt und dreckig machen würde. Dazu muß ich sagen, daß das so nicht stimmt. Ich habe nicht sehr viel zerstört, wenn man mal von der teuren Sandale absieht, die nach meiner kunstgerechten Bearbeitung einem Trümmerhaufen glich und ein paar anderen nicht so kostspieligen Kleinigkeiten. Jedenfalls lebte ich mit meinen Menschen fortan im Haus, in das ich nicht hineinpinkeln sollte. Große Geschäfte auf dem Wohnzimmerteppich waren ebenfalls verpönt. Also ließ ich mich zur Sauberkeit erziehen, weil es immer so kleine, leckere Belohnungen gab, wenn ich draußen die Hunde-Toilette aufsuchte. Leider bekomme ich diese Leckereien heute nicht mehr, wenn ich mal muß.
Es war eine glückliche Kinderzeit in Bad Vilbel auf dem Heilsberg. Wir mußten nur eine Straße überqueren und schon durfte ich ohne Leine laufen. Immer waren viele andere Hunde da, mit denen ich spielen durfte. Sie waren oft viel größer und stärker als ich, manche sahen sogar bedrohlich aus - aber niehund hat mir wehgetan. Bei Hunden, die nicht durch menschliche Verbiegung verdorben werden, funktioniert die interanimalische Kommunikation bestens. Es kam zwar gelegentlich zu kleineren diplomatischen Verwicklungen und es wurde schon mal bedrohlich geknurrt, gebellt und auch geknufft - aber such is life, wie der Italiener sagt.

 

Im zarten Alter von einem Jahr traten Phänomene ganz anderer Art in mein Bewußtsein. Ich bemerkte, daß mich weibliche Hunde ganz besonders anzogen und ich verlor mein Herz an Winnie, eine entzückende Jack-Russel-Terrine. Wenn ich sie beim Spazierengehen traf, rutschte mein Herz in südlichere Regionen und ich war wie von Sinnen. Winnies Mensch Ingrid hatte grundsätzlich Einwände gegen mein Bestreben, meine Vorderpfoten auf Winnies hübschem Rücken abzulegen.... Wir wurden dann zwangsweise getrennt und meine Erregung war grenzenlos. Ich heulte wie ein Wolf und mußte den Berg hinauf nach Hause getragen werden, denn ich rammte nur noch alle Viere in den Boden, weil ich Winnie nicht begleiten und vernaschen durfte. Zu Hause wurden Türen und Fenster geschlossen gehalten, wenn die Damenwelt verlockend duftete und ich litt ganz entsetzlich, besonders, wenn kein Mensch zu Hause war. Dieses äußerte sich in wehklagendem Wolfsgeheul, das von unserer Nachbarschaft überhaupt nicht geschätzt wurde.

Als ich ungefähr drei Jahre alt war, bemerkte ich, daß bei uns der Hausfrieden mehr als schief hing. Es gab schon seit längerer Zeit sehr viel bösen Streit und mein Menschenbruder Benni und ich hatten Angst. Die Atmosphäre war sehr bedrückend, Benni und ich kuschelten uns aneinander und hofften auf eine baldige friedliche Lösung. Zu dieser kam es dann am 31. Oktober 1999 - Reformationstag, wie passend. Benni, Nina und ich zogen nach Frankfurt - Niedererlenbach in eine ziemlich leere Wohnung. Die Umgebung dort hat mir gleich gut gefallen, ich mußte wiederum nur ein paar Schritte angeleint laufen, bis ich entweder in den Feldern, am Bach oder im Park herumtoben durfte. Nur leider gibt es hier bis heute kaum vernünftige Mithunde - die meisten sind überkandidelte Angeber, die ihre Yuppiemenschen an der Leine hinter sich herziehen. Viele dieser eingebildeten menschlichen Zeitgenossen haben Angst vor mir wildem Straßenköter, brüllen unprofessionell „Ist das etwa ein Rüde" oder so'n Quatsch und versuchen, ihre dämlichen Hündchen vor meinem Einfluß zu schützen.

In diesen Herbst fällt auch eins meiner schönsten Erlebnisse, das sich tief in meine Hundeseele eingraviert hat... Ich war zusammen mit Benni am Wochenende zu Besuch in unserem alten Zuhause. Wir gingen auf dem Heilsberg spazieren und trafen nette Leute mit einer wunderschönen, tiefschwarzen Hündin namens Mandy, die auch nicht nur einer bestimmten Rasse zuzuordnen war. Wir verliebten uns auf den ersten Blick hoffnungslos ineinander. Zur Tarnung tollten wir ganz normal auf dem Feld herum, allerdings mit der Zielsetzung, uns immer weiter von unseren Menschen zu entfernen.... Als der Sicherheitsabstand groß genug geworden war, rannten wir los in den Wald, ohne die flehenden Rufe der Zweibeiner zu berücksichtigen. Wir verbrachten einen Nachmittag voller wilder Zärtlichkeit miteinander, wälzten uns in wohlriechender Umgebung und liebten uns voller Hingabe. Als es dunkel wurde, besiegte unser scharfer Hundeverstand doch wieder unsere Gefühle, so daß wir uns in der Hoffnung auf ein baldiges Wiedersehen verabschiedeten. Ich hatte mich derart verausgabt, daß ich nur noch humpeln konnte und sehnte mich nach Wasser, Futter und meinem warmen Lager. Irgendwann habe ich dann den völlig aufgelösten Bernd getroffen - er schimpfte sehr mit mir und brachte mich zu Nina nach Hause. Beide sprachen davon, daß ich nicht nur entsetzlich aussehen, sondern noch viel schlimmer stinken würde - Menschen sind Ignoranten. Ich mußte mich dann einer ausführlichen Dusche unterziehen, was mir jedoch gleichgültig war, denn mein Herz war erfüllt von liebevollen Gefühlen und ich war daher immun gegen den verhaßten gnadenlosen Wasserstrahl.

Ein paar Wochen später kam es dann zu einem sehr unerfreulichen und schmerzhaften Ereignis - ich wurde zum Tierarzt gefahren und operiert. Dieses wiederum gehört zu den bisher schlimmsten Erfahrungen meines Hundelebens. Der Tierarzt flößt mir von Welpenbeinen an Panik ein - das hatte er wohl bemerkt, jedenfalls wurde ich heimtückisch betäubt. Als meine geschwundenen Sinne wieder zu arbeiten begannen, merkte ich, daß sich etwas verändert hatte. Ich weiß bis heute allerdings nicht, was genau. Seit dem Tag meiner Gehirn-Operation (Nina nennt das so) interessiere ich mich - einst inbesondere in Zeiten großen Liebeskummers eher ein sehr mäkeliger Futterverwerter - fast ausschließlich für FRESSEN. Ich springe täglich nur knapp dem drohenden Hungertod von der Schippe. Mein Magenknurren begleitet mich ständig und ab und an weine ich mich hungerleidend in den Schlaf. Als gnadenlos gefräßig werde ich abgestempelt, nur weil ich im Park die Abfallbehälter plündere und die Tüte Gummibärchen kurz vor Weihnachten einen schlimmen Brechanfall zur Folge hatte. Ansonsten ist mein Leben schön und verläuft in geordneten Bahnen. Eskapaden wie Urlaube oder diesen entsetzlich anstrengenden Aufenthalt in Berlin vor drei Jahren schätze ich überhaupt nicht. Zu Hause ist es am schönsten. Montags morgens bin ich froh, wenn meine beiden Menschen die Wohnung verlassen, damit ich endlich in Ruhe Ninas Bett ganz für mich habe, um mich von den Strapazen des Wochenendes zu erholen. Ab und an surfe ich ein wenig im Internet, betrachte die leckeren Freßnapf-Pages und (aber bitte nicht weitersagen) die nicht minder appetitlichen Abbildungen netter Hundedamen in entzückenden Posen. Oft schreibe ich meiner liebsten Freundin Connie eine E-Mail - wir wollen demnächst einen Selbsthilfe-Chat für ausgehungerte Hundeseelen gründen.

Meine Menschen liebe ich sehr - sie verabreichen mir zwar zu wenig Futter, aber genug Streicheleinheiten. Leider sind sie ziemlich albern und denken, ich bemerke nicht, daß sie mich vergackeiern. Dazu gehört auch ihre unsägliche Angewohnheit, mich Klaus-Dieter zu nennen. Diesen Namen hat Benni vor ca. einem Jahr einem törichten Text über Putzpersonal entnommen, den Nina aus mir unerfindlichen Gründen schrieb. Darin hieß es unter 4.: „ Klaus-Dieter: Sehr lieb zu männlichen Arbeitgebern. Ehrgeizig. Verbreitet eine behagliche Verwöhnatmosphäre, indem er süßliche Düfte versprüht. Legt gern ein Mon-Chéri als Betthupferl auf das frisch bezogene Kopfkissen und ab und zu auch sich selbst daneben." Ich wollte meinen beiden Lieblingsmenschen ihre infantile Freude nicht verderben, als ich beschloß, fortan auch auf diesen eigenartigen Namen zu hören.

 

[ff]

 

 

ich + dicker Elch power-relaxing
ich + dicker Elch power-relaxing